Zitate zur Ästhetik des Tee-Weges

Die Kizaëmon-Teeschale (hier geht es zu einem schönen Foto) „gilt als die herrlichste der Welt. Nach ihrem Ursprung werden drei Hauptgattungen von Teeschalen unterschieden: die chinesischen, die koreanischen und die japanischen. Die schönsten kommen aus Korea, und die Männer des Tees billigen ihnen immer den ersten Rang zu. … Die schönsten werden Meibutsu Ôido genannt – mit dem Ausdruck Meibutsu werden besonders schöne Stücke bezeichnet. Sechsundzwanzig Schalen sind als Meibutsu registriert, aber die herrlichste von allen und die, über die ich hier schreiben will, ist jene, die man allgemein unter dem Namen Kizaëmon kennt. Dieser Schale wird allgemein nachgesagt, sie berge das innere Wesen des Tees in sich. … Kizaëmon ist der Name eines Manns: Takeda Kizaemon, ein Kaufmann aus Ôsaka, dem diese Schale gehörte. … dann, etwa 1775, wurde sie für einen Preis von 550 ryô (eine immense Summe) Eigentum des Herrschers Matsudeira Fumai von Matsue, der ein großer Sammler von Teeschalen war. Fumai war äußerst angetan von ihr und trug sie immer bei sich. …“

 

„Im Jahr 1931 wurde mir und meinem Freund, dem Töpfer Kanjirô Kawai, die Schale gezeigt. Ich hatte schon lange Zeit den Wunsch gehabt, diese Kizaëmon-Schale zu sehen. … Als ich sie sah, stockte mir das Herz: eine gute Teeschale, ja, aber wie gewöhnlich! So einfach, dass man sich einen gewöhnlicheren Gegenstand nicht vorstellen kann. Sie trägt nicht die Spur einer Verzierung, nicht die Spur eines Gestaltungswillens. Sie ist nicht mehr als eine koreanische Essensschale, eine Schale überdies, die ein armer Mensch jeden Tag benutzen würde – alltäglichste Töpferware.

 

Ein seinem Zweck angemessener Gegenstand, der nahezu nichts kostet, der von einem armen Mann hergestellt wurde, ein Gegenstand ohne persönliche Note, von seinem Besitzer gedankenlos benutzt, ohne Stolz gekauft, ein Ding, das jedermann an einem beliebigen Ort hätte erstehen können: Das ist es, was diese Schale ausmacht. Der Ton wurde am Hügel hinter dem Haus gestochen, die Glasur wurde mit der Herdasche gemacht, die Töpferscheibe war unregelmäßig. Hinter der Form steckt kein besonderer Einfall: Sie war eine von vielen. Die Arbeit wurde rasch ausgeführt, das Abdrehen geschah grob und mit schmutzigen Händen, das Drehen erfolgte nachlässig, die Glasur war über den Fuß gelaufen. Der Raum, in dem die Drehscheibe stand, war dunkel. Der an der Drehscheibe saß, konnte nicht lesen. Beim Brennofen handelte es sich um eine jämmerliche Angelegenheit, das Brennen wurde ohne jede Sorgfalt durchgeführt. Am Gefäß klebte Sand, aber das kümmerte niemanden; keiner legte irgendwelche Träume in dieses Ding. Bei seinem Anblick könnte ein Töpfer seinen Beruf aufgeben

 

In Korea wurden solche Arbeiten den Niedrigsten überlassen. Was sie herstellten, ging in Küchen zu Bruch, war fast so etwas wie Verbrauchsware. Es waren ungeschickte Bauerntölpel, die diese Arbeit übernahmen: der Reis, den sie aßen, war nicht weiß, und ihr Geschirr war nicht gespült. Wenn man in Korea auf dem Land herumreist, kann man solche Umstände überall antreffen.“ (Der Verfasser dieses Textes hat Korea in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhundert mehrfach besucht.) „Das und nichts anderes ist die Wahrheit über diese berühmteste Teeschale des Landes.“ – gemeint ist natürlich Japan. …

 

„Ein Zen-Spruch besagt, ganz am Ende des Weges sei ungestörter Frieden. Was kann man mehr verlangen? Ebenso ist es mit friedvoller Schönheit. Die Schönheit der Kizaëmon-Ôido-Schale ist die eines Friedens, in dem aller Zwist begraben ist, und es ist nur angemessen, dass sie in [einem] Tempel, dem Kohô-an, ruht, denn an jenem stillen Ort gibt sie dem Suchenden ihre schweigsame Antwort.“ …

 

„Die Teemeister erklären, die koreanischen Schalen seien die besten. Das ist ein ehrliches Eingeständnis. Warum, so fragt man sich, sind sie den japanischen Schalen überlegen? Die Antwort lautet: Die japanischen Töpfer waren bestrebt, gute Gefäße in Übereinstimmung mit anerkannten Standards oder Regeln herzustellen. Es ist aber falsch, wenn die beiden Perspektiven, unter denen Töpferware zu betrachten ist, die des Herstellers und die des Benutzers, durcheinandergebracht werden. Die Produktion wurde durch die Wertschätzung verdorben – japanische Schalen tragen den Makel des Bewusstseins. Raku Chôjirô, Hon’ami Kôetsu und andere individuelle Töpfer leiden alle mehr oder weniger unter derselben Krankheit. Es ist vollkommen in Ordnung, die Unregelmäßigkeiten in der Form der Ido-Schalen reizvoll zu finden, aber wenn man Gefäße mit absichtlichen Verformungen herstellt, geht dieser Reiz sofort verloren. Wenn die Glasur an einem Gefäß während des Brennvorgangs springt, ist das natürlich, es kann sich schließlich sogar als Segen erweisen; aber es ist etwas völlig anderes, wenn es aufgrund der irrigen Annahme, man befolge damit die Regeln der Teemeister, absichtlich herbeigeführt wird. Der Fußring einer Ido-Schale ist außergewöhnlich schön, aber es ist geradezu fatal, wenn man seine zufällig entstandenen Unregelmäßigkeiten nachbilden will – die Schönheit geht dabei verloren.

 

All diese gewollten Entstellungen sind vor allem bei den japanischen Schalen anzutreffen. Sie weisen eine ganz spezielle Art der Hässlichkeit auf, die beim Streben nach einer falsch verstandenen Schönheit entsteht. Es gibt auf der Welt nur wenig Vergleichbares. Die Ironie dabei ist, dass die japanischen Teemeister, die ein tieferes Verständnis für Schönheit hatten als irgendjemand sonst, zur Fortdauer dieses Missstandes beigetragen haben und noch immer beitragen. Es gibt kaum eine mit dem Raku-Stempel versehene Schale, die nicht hässlich wäre. Das lässt sich hingegen von keiner einzigen Ido-Teeschale sagen. Die Kizaëmon-Ôido-Schale ist die Antithese und Herausforderung von Raku.“


Wer könnte das geschrieben haben? Wer ist denn über Jahrzehnte hinweg mit Bernard Leach und Hamada Shôji aufs Engste befreundet gewesen? Natürlich Yanagi Sôetsu, der Propagandist und Begründer der Mingei-Bewegung in Japan. Und offenkundig beschränkt sich Yanagi bei seiner Anti-Raku-Polemik auf einen ganz kleinen Ausschnitt aus dem Repertoire der japanischen Tee-Keramik. Zweifellos sind die koreanischen Ido-Schalen des 16./17.Jahrhunderts Stücke von beeindruckender, ja unvergesslicher Intensität (wir selbst haben einmal einige dieser koreanischen Meibutsu bei einer Ausstellung in Fukuyama/Hiroshima-ken bestaunen und seither nicht vergessen können). Doch außer den von Yanagi zur Antithese stilisierten und in der Regel schwarzen Raku-Schalen gibt es eine ganze Reihe weiterer Stile der Tee-Keramik: einerseits das bunte, reich verzierte Kyô-yaki und zum anderen die Produkte der vielen zumeist auf Kyûshû gelegenen Töpfer-Orte, in denen die Nachfahren einst zwangsangesiedelter koreanischer Töpfer-Familien noch heute aus ihrem Heimatland übernommene Traditionen fortführen: Karatsu, Agano, Takatori, Koishiwara, Shôdai zum Beispiel. (Diese Aufzählung beansprucht bei Weitem keine Vollständigkeit – so unterschlägt sie schon die wichtige, noch heute hochgeschätzte Hagi-Keramik, die den Stil der koreanischen Ido-Schalen am Reinsten verkörpert.)

 

In einem Punkt allerdings muss man wohl Yanagi uneingeschränkt Recht geben: Soll überhaupt von einem Einfluss des Zen auf die Tee-Zeremonie gesprochen werden, so manifestiert sich der in der Kizaëmon-Schale wie in keinem anderen Gegenstand des Tee-Weges: Sie fordert mit ihrer Abwesenheit vorsätzlicher Muster, deren unsere Wahrnehmung bedarf, um einen Gegentand als reizvoll und interessant zu empfinden, zu tiefer Versenkung heraus – einer Versenkung in das Mysterium einer Stille und befreienden Leere des Geistes. Sich dem in sie versunkenen Anblick durch Besinnung auf die erst zu entdeckende Schönheit dieser Schale zu entziehen bedeutet zugleich, aus der Zen-spezifischen Versenkung schon wieder herausgetreten zu sein, zurück in die Dualität von beobachtendem und urteilendem Subjekt und seinen Objekten.

 

Alle obigen Zitate entstammen dem Buch: Sôetsu Yanagi, Die Schönheit der einfachen Dinge, 1999, ISBN 3-7857-0950-1, S. 194-201 (engl. Originalausgabe: The Unknown Craftsman. A Japanese Insight into Beauty, 1972)